„Muscha“ – eine Lesung mit Anja Tuckermann

Der Verein „Das Rote Tuch e.V.“ hat es u.a. sich zum Ziel gesetzt, dass der antifaschistische Jugendmedienpreis „Das Rote Tuch“ nicht nur alle zwei Jahre verliehen wird, sondern die Preisträgerinnen und Preisträger auch die Möglichkeit erhalten, konkret in Charlottenburg-Wilmersdorf ihre jugendliche Zielgruppe zu erreichen.  So unterstützte der Verein bereits zweimal den Schriftsteller und Pädagogen Reiner Engelmann, in der „Schule am Schloss“ aus seinen Büchern zu lesen. Im Oktober las er aus seinem jüngsten Werk „Der Buchhalter von Auschwitz“ und diskutierte mit Schülerinnen und Schülern auf hohem Niveau über die Schuld eines Mittäters im System der Vernichtungslager, der persönlich vielleicht keinen Menschen ermordet hat, aber durch sein Tun zum reibungslosen Funktionieren der Mordmaschinerie beitrug.

Anja Tuckermann zeigt das Buch „Muscha“

Während Reiner Engelmanns Publikum eher Schülerinnen und Schüler aus der Mittelstufe der Sekundarschule  oder des Gymnasiums sind, schreibt die Berliner Autorin Anja Tuckermann für eine jüngere Zielgruppe. Anfang November las sie auf Einladung des Vereins in der „Mierendorff-Grundschule“ aus ihrem Buch „Muscha“, für das sie bereits vor längerer Zeit mit dem  Roten Tuch ausgezeichnet worden war. Hierin geht es um den Schüler Josef Müller, der in den dreißiger Jahren in Halle an der Saale aufwächst und wegen seiner dunkleren Haut- und Haarfarbe zunehmende Ausgrenzung erfährt, den Gewaltattacken seines Nazilehrers und seiner Mitschüler hilflos ausgesetzt ist, ohne den Grund zu kennen. Er will einfach sein wie alle anderen Kinder auch,  aber er wird in der Schule schikaniert und schließlich zwangssterilisiert.

Josef Müller weiß nicht, dass seine geliebten Eltern „nur“ seine Pflegeeltern sind und seine leiblichen Sinto-Eltern ihm als Säugling den Namen „Muscha“ gegeben hatten. Behutsam erzählt Anja Tuckermann diese Geschichte aus kindlicher Sicht: von Muschas Ängsten, seiner Not, die Welt um ihn herum nicht mehr begreifen zu können, als seine Pflegeeltern ihn monatelang vor dem Zugriff der Verfolger in einer Gartenlaube versteckt halten. Es ist auch ein Buch über Mut und Zivilcourage im Dritten Reich, denn ohne die Menschen aus dem Widerstand hätte Muscha das „Dritte Reich“ nicht überlebt.

Anja Tuckermann (links) neben Schulleiterin Melchert-Arlt (rechts)

Anja Tuckermann gelang es hervorragend, mit den Schülerinnen und Schülern der 6. Klassen in der Mierendorff-Grundschule ins Gespräch zu kommen und auf ihre zahlreichen klugen Fragen einzugehen. Sie weckte die Empathie der Jugendlichen für einen Jungen, der im Grunde so war wie sie selbst, nur zufälligerweise in einer anderen Zeit gelebt hatte, in der er ohne eigenes Verschulden zum Feind erklärt und fast ermordet worden wäre. Es bleibt zu hoffen, dass solche Denkanstöße dazu beitragen, die Heranwachsenden gegen Rechtspopulismus und rassistische Ausgrenzung zu immunisieren!