„Der Buchhalter von Auschwitz“ – eine Lesung mit Reiner Engelmann

Reiner Engelmannn, Pädagoge und Schriftsteller aus Rheinland-Pfalz, hat mit Schülergruppen immer wieder KZ-Gedenkstätten besucht, um das unfassbare Geschehen auch für kommende Generationen wach zu halten. So kam er 2009 auch nach Auschwitz, und lernte bei der dortigen Führung den damals bereits 92-jährigen Wilhelm Brasse kennen, der selbst Häftling im „Stammlager Auschwitz“ war, doch als gelernter Fotograf von der SS eingesetzt wurde, um Häftlinge zu fotografieren. Engelmann hat dies in seinem Buch „Der Fotograf von Auschwitz“ dokumentiert, für das er 2015 mit dem Jugendmedienpreis „Das Rote Tuch“ der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf ausgezeichnet wurde. Auf Einladung des Fördervereins „Das Rote Tuch e.V.“ hat Engelmann 2017 hierzu eine Lesung in der „Schule am Schloss“ durchgeführt.

In diesem Jahr ist nun Engelmanns neues Werk „Der Buchhalter von Auschwitz“ erschienen, das sich mit dem SS-Mann Oskar Gröning auseinandersetzt, der die Wertsachen der in Auschwitz Ermordeten erfasst und an die zuständigen SS-Stellen weitergeleitet hatte. Wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen wurde er daher 2015 vom Landgericht Lüneburg zu einer vierjährigen Haft verurteilt, verstarb jedoch, ehe er die Haftstrafe antreten konnte.

Reiner Engelmann las jetzt im Oktober auch aus diesem neuen Buch in der „Schule am Schloss“. Die Aula war gerammelt voll mit Schülerinnen und Schülern aus den Klassenstufen 9 und 10, und wieder entwickelte sich eine ausgesprochen lebhafte Diskussion mit dem Autor, der einmal mehr sein Talent unter Beweis stellte, auch komplizierte Sachverhalte anschaulich darzustellen. Beispielsweise verdeutlichte Engelmann, die Schwierigkeit für die Justiz über Jahrzehnte, auch Taten der so genannten „kleinen Rädchens im Getriebe“ wie Oskar Gröning strafrechtlich zu ahnden. Der legendäre hessische Staatsanwalt Fritz Bauer etwa, der in den 60er Jahren die ersten Auschwitz-Prozesse angestrengt und damit überhaupt erst eine gerichtliche Auseinandersetzung mit dem unglaublichen Mordgeschehen zwanzig Jahre davor in Gang gesetzt hatte, musste immer noch die direkte Tatbeteiligung jedes Angeklagten an einem konkreten Mord nachweisen. All die vielen Mittäter, die zum reibungslosen Funktionieren der Mordmaschinerie unerlässlich waren, kamen ungeschoren davon. Engelmann erläuterte, wie sich insbesondere als Folge der Anschläge vom 11. September 2001 die Rechtsprechung weiter entwickelt hatte und nun auch mittelbar an der Tat Beteiligte zur Rechenschaft zog, wodurch sich der Kreis der für NS-Verbrechen zu Belangenden erheblich vergrößerte.

Doch Engelmann blieb nicht im Theoretischen, sondern brachte den Schülerinnen und Schülern die Schicksale ganz konkreter Familien nahe. Er hatte mit Überlebenden des Holocaust gesprochen, die im Prozess gegen Oskar Gröning z.T. auch als Nebenkläger aufgetreten war – oftmals die einzigen Mitglieder einer ganzen Familie, die nicht ermordet worden waren. Auf die wiederholte Frage von Schülerinnen und Schülern, ob es für die Überlebenden jetzt ein Problem sei, dass Oskar Gröning die Haft nicht mehr antreten konnte, machte Engelmann klar, dass die meisten, mit denen er gesprochen hatte, vor allem die Feststellung der Schuld durch ein deutsches Gericht wollten, und es für sie nicht der entscheidende Punkt gewesen sei, ob ein 95-jähriger noch für seine damaligen Taten ins Gefängnis käme.

Die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler zeigte einmal mehr, wie unerlässlich die Beschäftigung mit derartigen Fragen ist, um nachwachsende Generationen gegen eine Verharmlosung von Nazi-Verbrechen zu immunisieren. Der Verein „Das Rote Tuch e.V.“ wird auch weiterhin alles daran setzen, dass Autorinnen und Autoren in die Schulen kommen, um ihre Erkenntnisse an die Jugendlichen weiterzugeben!